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Kohlenstoffdioxid sinnvoll nutzen 27.05.2025, 09:30 Uhr

Chemikalien aus Hüttengasen

Klimaschutz in der Industrie wird konkreter: In Duisburg kann weiter daran gearbeitet werden, in großem Maßstab Chemikalien etwa aus CO2 aus Hüttengasen eines Hüttenwerks herzustellen. Denn die Bundesregierung hat die Finanzierung der dritten Phase des Carbon2Chem-Projekts zugesagt. Bis Ende 2028 kann dort nicht nur die Herstellung solcher Chemikalien aus Hüttengasen weiter etabliert, sondern auch auf Abgase anderer Industrien ausgeweitet werden.

20. September 2018: Damals wurde der Startknopf für das gesamte Carbon2Chem-Projekt gedrückt. Dabei sind (v.l.n.r.): Guido Kerkhoff, damals Vorstandsvorsitzender von thyssenkrupp, Anja Karliczek, damals Bundesminiterin für Bildung und Forschung, Reinhold Achatz, damals Technikvorstand bei thyssenkrupp, Andreas Pinkwart, damals NRW-Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, Donatus Kaufmann, damals im Thyssenkrupp-Vorstand für Recht und Compliance zuständig, und Andreas Goss, damals Geschäftsführer der thyssenkrupp Steel. Foto: BMBF/Hans-Joachim Rickel

20. September 2018: Damals wurde der Startknopf für das gesamte Carbon2Chem-Projekt gedrückt. Dabei sind (v.l.n.r.): Guido Kerkhoff, damals Vorstandsvorsitzender von thyssenkrupp, Anja Karliczek, damals Bundesminiterin für Bildung und Forschung, Reinhold Achatz, damals Technikvorstand bei thyssenkrupp, Andreas Pinkwart, damals NRW-Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, Donatus Kaufmann, damals im Thyssenkrupp-Vorstand für Recht und Compliance zuständig, und Andreas Goss, damals Geschäftsführer der thyssenkrupp Steel.

Foto: BMBF/Hans-Joachim Rickel

Der Traum, Kohlenstoff im großen Maßstab aus Industrieabgasen zurückzugewinnen lebt weiter. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wird von 2026 an auch die dritte Phase des Carbon2Chem-Projekts in Duisburg fördern. „Carbon2Chem zeigt eindrucksvoll, wie Forschung konkret dazu beiträgt, Industrieprozesse klimafreundlicher zu gestalten“, erklärt dazu Karl Eugen Huthmacher, Staatssekretär im BMBF. Und das Ministerium ist mit dem bereits Erreichten zufrieden: „Schon die bisher erzielten Fortschritte bringen uns die CO2-Kreislaufwirtschaft erheblich näher – gerade auch die Stahlproduktion, Chemie und Energie.“

Die erste Projektphase: es geht los

Die Verwirklichung des Traums begann im März 2016. Damals erhielt ein Verbund aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen vom BMBF den Zuschlag zu erforschen, wie sich Hüttengase aus dem Stahlwerk sinnvoll nutzen lassen. Es geht vor allem um drei Hüttengasbestandteile: Kohlenstoffdioxid (CO2), Kohlenstoffmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2).

Die Partner im Verbundprojekt werfen damit einen neuen Blick auf die Hüttengase. Diese sind für die Projektpartner kein Abgas mehr, sondern Synthesegas und damit ein Rohstoff für die Chemie. Um das Synthesegas in wertvolle chemische Produkte umwandeln zu können, werden sie in einem mehrstufigen Verfahren gereinigt.

Konkret wurde es am 20. September 2018: An diesem Tag wurde das Technikum auf dem Gelände von thyssenkrupp in Duisburg feierlich eröffnet.

20. September 2018: Damals wurde der Startknopf für das gesamte Carbon2Chem-Projekt gedrückt. Dabei sind (v.l.n.r.): Guido Kerkhoff, damals Vorstandsvorsitzender von thyssenkrupp, Anja Karliczek, damals Bundesminiterin für Bildung und Forschung, Reinhold Achatz, damals Technikvorstand bei thyssenkrupp, Andreas Pinkwart, damals NRW-Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, Donatus Kaufmann, damals im Thyssenkrupp-Vorstand für Recht und Compliance zuständig, und Andreas Goss, damals Geschäftsführer der thyssenkrupp Steel. Foto: BMBF/Hans-Joachim Rickel

Thyssenkrupp konnte kurz darauf erstmals Methanol (CH3OH) aber auch Ammoniak (NH3) aus Hüttengasen herstellen. Im März 2019 folgte die Einweihung des projekteigenen Labors am Fraunhofer Umsicht in Oberhausen. Seitdem wurden dort Verfahren zur Gasreinigung und der Herstellung etwa von Methanol und ersten höheren Alkoholen wie Ethanol (C2H5OH) oder Propanol (C3H7OH) getestet.

Zur Unterscheidung dieser Alkohole: Methanol enthält ein Kohlenstoffatom, Ethanol bereits zwei und Propanol drei Kohlenstoffatome. Jedes Kohlenstoffatom dieser Alkohole, die aus Hüttengasen hergestellt werden, stammt dabei aus einem der beiden Hüttengasbestandteile Kohlenstoffmonoxid oder Kohlenstoffdioxid. Das BMBF hat diese erste Projektphase von 2016 bis 2020 mit 60 Mio. € gefördert.

Die zweite Projektphase: es funktioniert

In der zweiten Projektphase von 2020 bis 2024 wurden die Verfahren im Labor in Oberhausen weiter validiert und für die Skalierung im Technikum vorbereitet. Einige Verfahren wurden dann im Technikum in Duisburg umgesetzt. Drei Beispiele für Synthesen, deren Betrieb mit gereinigten Hüttengasen bereits über längere Zeiträume nachgewiesen wurde:

  • Methanol wurde aus gereinigtem CO2, CO und H2 hergestellt. In den Hüttengasen vorhandenes CO2 und CO wurde dazu über einen metallhaltigen Katalysator geleitet wie auch Wasserstoff, der etwa elektrolytisch hergestellt oder aus dem Koksofengas isoliert und bereitgestellt wurde.
  • Methanol konnte auf diese Weise bereits direkt auch aus Hochofengas, das von Spurenelementen gereinigt wurde, hergestellt werden.
  • Auch Ammoniak ließ sich schon aus Hochofengas, befreit von Spurenelementen und nach einer Konditionierung, herstellen. Der Stickstoff im Gas reagiert dabei katalytisch mit dem Wasserstoff.

Das BMBF hat für diese zweite Projektphase weitere 84 Mio. € bereitgestellt. Die beteiligten Unternehmen haben in diesen ersten acht Jahren seit 2016 bereits 100 Mio. € an Eigenmitteln beigesteuert, weitere 10 Mio. € können bis Ende 2025 folgen.

Das 3 700 Quadratmeter große Carbon2Chem-Forschungsgelände, direkt neben dem Werksgelände der thyssenkrupp Steel Europe AG in Duisburg. Foto: thyssenkrupp

Die dritte Projektphase: die Anwendung wartet

Das Projekt befindet sich jetzt in der dritten Projektphase. Diese endet Ende 2028. Das BMBF legt für diesen Zeitraum 50 Mio. € dazu. Die Arbeiten an den bisherigen Projekten gehen weiter. In dieser Projektphase sollen aber auch zusätzlich Gase aus anderen industriellen Sektoren wie Kalkwerken und Müllverbrennungsanlagen untersucht werden. Geprüft wird, ob sich diese auch als nachhaltige Rohstoffquellen für die chemische Industrie eignen und ob sie sich auch für eine Kreislaufführung eignen.

Darüber hinaus sollen Regelstrategien entwickelt werden, um die Betriebsweisen von Carbon2Chem-Anlagen, die in Gesamtkreisläufe für Energie und Kohlenstoff eingebunden sind, zu optimieren.

Die Methanol-Synthese dient dabei als Schlüsseltechnologie zur Reduktion von CO2-Emissionen, sowohl als Produkt selbst, als auch mit den darauf basierenden Downstream-Prozessen zur Förderung einer kohlenstoffneutralen Industrie.

Das Schild vor der Reinigungsanlage auf dem Carbon2Chem-Gelände zeigt, woraus die Hüttengase im Durchschnitt bestehen. Foto: thyssenkrupp

Das Herz ist das Technikum

Das Herzstück des Projekts ist das Technikum in Duisburg, das an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr betrieben wird. Dessen Infrastruktur steht nicht nur der industriellen Anwendung zur Verfügung, sondern wird auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern innerhalb des Projekts genutzt. Dies ermöglicht eine enge Verzahnung von Forschung und Praxis. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben hier die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse unter realen Bedingungen zu testen und zu validieren – ein entscheidender Vorteil für die Entwicklung innovativer Technologien.

Der Dienstleister Uhde Engineering Services ist für den reibungslosen technischen Ablauf des Technikums zuständig.

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Marktfähigkeit im Blick

Neben der Forschung fokussiert das Projekt auch darauf, marktfähige Produkte herzustellen. Methanol ist dabei ein Schlüsselprodukt. Allerdings enthalten die Hüttengase hierfür nicht ausreichend Wasserstoff. Ein Schlüsselelement von Carbon2Chem ist daher grüner Wasserstoff, der über eine alkalische Elektrolyse erzeugt wird. Dadurch wird die Synthese von wertvollen Chemikalien – von Methanol über Ammoniak bis hin zu synthetischen Flugkraftstoffen ermöglicht.

Fokus auf Methanol

Methanol kann vielseitig genutzt werden. Dieser Alkohol eignet sich als Ausgangsstoff für die chemische Industrie, für Kraftstoffe sowie als Energieträger oder -speicher. Ein Zukunftsszenario ist etwa, nachhaltigen Flugtreibstoff aus Methanol herzustellen. Außerdem ist geplant, Forschungsschiffe wie die Uthörn II des Alfred-Wegner-Instituts mit grünem Methanol zu betreiben. Zudem lässt sich Methanol in Kunststoffe wie Polypropylen (PP) umwandeln und als chemischer Energiespeicher in Phasen von überschüssig vorhandener Energie aus regenerativen Quellen nutzen.

Anpassung an Veränderungen

Dabei ist Carbon2Chem kein statisches Projekt. Es passt sich Veränderungen an. Die vielleicht wichtigste Veränderung für das Projekt ist, dass sich die Zusammensetzung des Synthesegases im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte ändern kann. Aktuelle Hüttengase bestehen primär aus Hochofengas mit einem hohen Anteil an Stickstoff (N2). Aufgrund der Transformationsprozesse in der Stahlindustrie ist jedoch zu erwarten, dass aus zukünftigen Stahlwerken Hüttengase mit einem höheren Anteil an Kohlenstoffoxiden und weniger Stickstoff zur Verfügung gestellt werden, die ebenso von einer Carbon2Chem-Anlage verarbeitet werden können.

Zukunftsperspektiven

Carbon2Chem ist damit weiterhin ein wegweisendes Projekt mit dem Potenzial, die Stahlproduktion und andere energieintensive Industrien grundlegend zu verändern. Es zeigt, dass eine nachhaltige, CO2-arme Wirtschaft nicht nur eine Vision, sondern bereits heute technisch umsetzbar ist.

Mit dem Technikum in Duisburg hat thyssenkrupp dem Carbon2Chem-Verbund eine weltweit einmalige Plattform geschaffen, mit der innovative Verfahren unter realen Bedingungen getestet und weiterentwickelt werden können. Damit kann das Projekt entscheidend dazu beitragen, neue Wege für eine ressourcenschonende und klimafreundliche Industrie zu erschließen.

www.thyssenkrupp-carbon2chem.com

Matthias Kammel ist Geschäftsführer bei der thyssenkrupp Carbon2Chem GmbH
Foto: thyssenkrupp